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2024 Mental load und Krebs

Mental load.
Über dieses Wort stieß ich kurz vor meiner Krebserkrankung. Brustkrebs 2017.
Und tatsächlich- es kam mir bekannt vor.
Es beschreibt neben vielen parallel laufenden Tätigkeiten –
„BLEIBST DU KURZ AM HÖRER, SUSANNE? ICH SCHMEISS NUR KURZ DIE WÄSCHE IN DEN TROCKNER!“

Jedenfalls- dachte ich früher, dass die Überschrift des Themas –
„DEIN SCHLAFANZUG HÄNGT ÜBER DER HEIZUNG!“

Ich dachte immer, dass ich viele Dinge gleichzeitig gut machen kann und damit wahnsinnig
„ALEXA? SCHREIB GESCHENKPAPIER AUF DIE EINKAUFSLISTE“

effizient bin.

Das habe ich wirklich gedacht. Nach meiner Elternzeit bin ich Vollzeit wieder in den Job eingestiegen.
Schon damals ruckelte mein Konzept, aber es hielt sich noch wacker.
Wenn ich im Job war, war eigentlich alles fein. Ich konnte mich auf meine Aufgaben konzentrieren.
Aber auf dem Arbeitsweg und nach dem Feierabend habe ich mit zu vielen Bällen jongliert und tue es gelegentlich heute noch.

Ihr kennt das. Neben den to-dos, die jeder von uns nun einmal hat:
Winterreifen wechseln, Hausratversicherung Tarifcheck, Steuererklärung, Wäsche, Oma anrufen

kamen noch diese Kinderalltags-Dinge on Top
Geschenk für die Erzieherin, Kitaausfall, Hausapotheke auffüllen, Wechselklamotten in der Kita der Größe und Jahreszeit anpassen, Kinderzahnpasta alle (Auf dem Rückweg einkaufen), Kinderturnen, Winterschuhe, Bücherhalle, Spielplätze dieser Republik, Adventskalender.

Müssen wir nicht schönreden.
Müssen wir auch nicht künstlich mit Positivität und Glückseligkeit füllen. Jede*r hat diese Dinge auf der To-do-Liste, die keinen Spaß machen.

Problematisch wird es, wenn sich alle diese Dinge vermischen.
Während du also auf dem Weg zum Kinderturnen bist, denkst du an das Protokoll, das du für die Arbeit noch fertig stellen wolltest, aber nicht konntest, weil du schnell los musstest. Kitaschließzeit.

Multi-Tasking nannte ich das damals.
Und blöderweise war ich auch noch stolz darauf so ein talentierter Dirigent meines Alltags zu sein.

Aber ich verlor die Konzentration.
Und irgendwann verlor ich die Freude.
Und irgendwann zog eine Angespanntheit in meinem Zuhause ein.
Ich merkte natürlich nicht, wo das Problem lag. Ich dachte, ich könnte es mit mehr Zeit für mich wieder ausrichten – aber ich war schon zu tief in einem Teufelskreis der Gewissenhaftigkeit gefangen und hatte nicht mehr genug Gelassenheit und mir easy das Handtuch über die Schultern zu werfen und zu einem Retreat zu fahren.

Die Urlaubstage brauchte ich, weil die Kita streikte. Die Überstunden, um meinen Mann abzulösen, und die Steuer brauchte ich, weil wir von der Rückzahlung in den Urlaub fahren wollten.

Dinge, die mir eigentlich Freude bereiteten, wurden irgendwann auch zu einem to-do.
Mir fehlte schlichtweg irgendwann die Kraft dazu und nicht die Freude brachte mich zum Grillabend mit Freunden, sondern mein Gewissen.

Ich möchte nicht wissen, wie man besser mit Stress umgeht.
Ich möchte einfach keinen Stress mehr haben.


Ich möchte nicht meinem Lebensstil die Schuld an der Erkrankung geben, aber wie ihr wisst bekam ich Krebs.
Für viele ist das ein Schockmoment.
Einer, von dem erzählt wird, dass man auf die Bremse drückt, alles auf 0 setzt und sich selbst an erste Stelle stellt.
Pain in the Ass, Vollbremsung. Achtsamkeit Ahoi!
Man könnte meinen, dass viele mit der ersten Chemotherapie plötzlich im geordneten Feng Shui-Leben sitzen und im Yin- und Yang atmen.
Ich glaube – mit Verlaub- keinem Krebspatienten diese Feststellung.

Krebs ist ein Tabu. Diese Erzählweise macht es zum Tabu. Und wenn wir über Krebs sprechen, dann lass uns über alles sprechen.
Ich möchte nicht der Miesepeter dieses Happy-Ends sein – aber mit der Diagnose wird es nochmal wirklich, wirklich hässlich.

Mental Load next level sozusagen. Patientenalltag setzt sich obenauf. Obendrauf auf alles, was scheinbar strukturiert- aber eigentlich eng getacktet ist. Was viel ist- und durch unsere Ansprüche an uns selbst noch mehr wird, weil es sich aufbläht und der freien Zeit ihre Freiheit nimmt.

Denn Krebs plant die U-Untersuchungen deiner Kinder nicht.
Krebs eröffnet ihnen kein Konto, deckt nicht den Geburtstagstisch, besorgt keine Lebensmittelfarben und begleitet keine Wutanfälle. Krebs liest keine Bücher.

Krebs macht deine Steuererklärung nicht, schält keine Kartoffeln und bringt deine Lieblingswinterjacke nicht zum Schneider. Krebs denkt nicht an deine Lieblingstante und geht auch nicht für dich zum Sport.

Im Gegenteil.
Krebs kommt mit seinem eigenen, riesigem Paket an Mental load. Gratis. Obendrauf zum normalen, ungeordneten Berg von Dingen, die man eben machen muss- und Dingen, die der eigene Anspruch diktiert.

Arztgespräche. Blutentnahmen. Zuzahlungen. Krankengeld. Apotheken. Belege sammeln.
Befunde abheften und manchmal lesen.
Verstehen wollen. Netzwerken. Physio. Leitlinien. Krankmeldungen (pünktlich!). Krankenkassen-App stürzt ab. Zugangsdaten im Hirnnebel. Neue Zugangsdaten. Datenschutz unterschreiben. Blind.
Patientenverfügung. Nachrichten beantworten. Taxischeine. Narbenpflege. Lymphe. Drainagen. Wartezimmerromantik. Gespräche mit Angehörigen. Termine vereinbaren. Mammographie. Finanzen. Genehmigungen, Bewilligungen und Kostenübernahmen. Stagings. Rente.
Anträge. Mundschutz. Kontrastmittel. Allergien. Blutgruppen. Warteschleifen. Noch mehr Wartezimmer. Dinge endlich mal regeln wollen. Müssen.
Sanitätshäuser. Notizen. Fragen. Nebenwirkungen. Therapien. Und nächste Woche alles von vorne.

Krebs-Mental-Load kommt dann, wenn man aus dem freien Fall der Diagnose realisiert, wo man überhaupt gelandet ist und dich dann mit einem to-do-Zettel durch die Therapie laufen lässt.
Krebs Mental-Load macht müde. Körperlich. Seelisch. Gleichzeitig hält es den Adrenalin-Pegel und den Puls unaufhaltsam oben. Ein perfides Gefühl zwischen Erschöpfung, und Stress. Überlebenswillen und – Instinkt.

Warum so wenig (und mit vorgehaltener Hand) über Krebs gesprochen wird, ist, dass Außenstehende vielleicht Todesängste verstehen können (oder nachvollziehbar finden)- niemals aber den mental load, der mit der Erkrankung einhergeht.
Weil über ihn oft nicht gesprochen wird. Über die Zeit, das Gefühl am eigenen Zeitmanagement zu scheitern und so einen Nebel im Gehirn zu haben, dass man eigentlich keine zwei Sätze lesen kann, ohne den Anfang wieder vergessen zu haben. Überforderung ist das Tabu. In jedem Lebensbereich ist Überforderung ein scheiß-Tabu und mit Krebs noch einmal mehr.


Am Leben mit einer Krankheit überfordert zu sein, und es nicht wegatmen zu können.
Mental load bei Krebs ist nicht optional und Überforderung wird so oft mit einem Aufgeben assoziiert.
Und das wird schlichtweg weggefloskelt. („Du musst positiv bleiben!“).

Vom Tod können sich viele Außenstehende vielleicht noch distanzieren.
Mental load kennen wir alle.
Wir wissen nicht, wie erschöpflich die Reserven sind.
Wir wissen aber, dass ein ganz normaler, gesunder Alltag auch belastend sein kann.
Diesen gedanklich mit Krebs und seinen Nebenbaustellen zu füllen scheint unbezwingbar.

Ist es nicht. Es ist herausfordernd und schwer.
Aber es ist auch klärend. Und das ist vielleicht das, was ich vielen mit auf den Weg geben möchte:
Dass ich mit mehr aus der Erkrankung gekommen bin, als ich reingegangen bin- ist mein persönliches Fazit, das ich in langen Nächten gezogen habe.

Mir wurde klar, dass ich in meinem Leben davor zu viele Ansprüche an mich selbst hatte.
Von meiner Vorstellung als Working-Mum, die sich selbst als junge Frau und als Paar nicht verlieren wollte.
Und obwohl ich zufrieden und glücklich war, lernte ich, dass ich – ohne meine Vorstellung zu verändern, oder Ansprüche herunter zu schrauben- diese Rolle viel effizienter leben konnte.
Ich konnte (aus)-sortieren. Outsourcen. Ich konnte zwar nicht mit dem Handtuch zum Reteat fahren, dafür aber mit Freunden im Herbst im Strandkorb sitzen und Kinderpunsch trinken.
Ich konnte priorisieren. Ich konnte lernen, dass meine Lebensqualität viel höher ist, wenn ich Dinge nacheinander tue.
Ich kann mich viel besser auf das Schöne konzentrieren, ich kann mich besser ausdrücken und meine Bedürfnisse formulieren, ich ziehe keine Strippen mehr- weil mein Umfeld schließlich nicht aus meinen Marionetten besteht.
Ich werde in meinen Gedanken nicht mehr unterbrochen, und wenn doch, dann merke ich es schnell.
Auch das Schlechte nehme ich viel klarer und deutlicher wahr und nutze meine Energie, um gegenzusteuern.
Weil ich verstehe- mich selbst besser verstehe. Ich habe gelernt, den Fähigkeiten anderer zu vertrauen und sie nicht durch meine Multi-tasking-Skills zu degradieren. Es ist durchaus zumutbar, dass mein Partner Geschenkpapier besorgt, oder den Pyjama von der Heizung holt.

Ich verzichte nicht. Das fällt mir oft nach so vielen Entbehrungen schwer.
Aber: Ich verzichte auf Dinge, die mich stressen.
Ich gehe nicht zum Elternabend, wenn ich keine Energie dazu habe (oder keine Lust).

Manchmal, so flüstern sich Krebspatient*innen zu, vermissen sie Unbeschwertheit.

Die vermisse ich auch.
Denn während ich heute einen Elternabend schwänzen kann, könnte ich niemals, wirklich niemals einen Facharzttermin schwänzen.
Ich könnte niemals eine Nachbesprechung sausen lassen, oder nicht zum Gutachter gehen.
Zusammenfassend: Das, was mir persönlich den größten emotionale Stress macht- darauf kann ich nicht verzichten.

Die ersten Gedanken sind „Die Arme! Ich wünsche ihr Gelassenheit“.
Aber ehrlich? Die möchte ich überhaupt nicht.

Gelassenheit bewirkt, dass ich entweder wieder alles machen möchte- oder schlimmer noch: dass mir alles egal wird.
Die Sache ist ja die:
Ich kann den gesamten mental load, zusammen mit den Must-dos des Lebens nicht tragen (und möchte es auch nicht mehr).
Deshalb musste ich lernen, mich zu priorisieren.
Und obwohl Dinge, die mir Unbehagen auslösen höher auf der Prioritätenliste liegen, als mir lieb ist-
kneife ich die Pobacken zusammen, gehe hin, und halte es aus (und belohne mich danach mit etwas Schönem. Nur für mich). Ich gönne es mir, erlaube es mir und meine Gewissenhaftigkeit erlaubt es mir auch.

Und erst ab diesem Punkt ist die Lebenswende nach Krebs für mich authentisch.
Ich tue mich schwer mich an Menschen zu orientieren, die Krebs hatten und „plötzlich“ mit scheinbarer Weisheit sprechen.
Ich möchte wissen: Wie habt ihr den mental load verteilt, erlebt, geordnet?

Ich habe keine Angst mehr vor Krisen.
Ich kenne mein Mental-Load-Depot und möchte es nie wieder ausreizen. Und wichtiger:
Ich habe meiner Zeit einen Wert gegeben, und Effizienz definiert.

Sie bedeutet nicht mehr, möglichst viel gleichzeitig zu schaffen.
Sie bedeutet das Gute (und schlechte) zu sehen, fühlen und aus allem das Bestmögliche zu holen.

Und sie bedeutet auch:
Ich mache meine Steuererklärung. Ich kaufe wieder die Zahnpasta, und räume auch mal ne Spülmaschine aus. .Auf der Rückfahrt von der Arbeit, halte ich nochmal beim Bäcker und kaufe das Pausenbrot.
Aber: Im Wartezimmer sitze ich alleine. Ich mische diesen Ort nicht mit der Planung der Weihnachtsfeier.
Auf dem Fußballplatz denke ich weder an meine Arbeit, noch an meinen Einkaufszettel und an Krebs denke ich auch nicht.

Ich sehe meinen 10-jährigen Fußball spielen und frage mich, wie lange ich das noch so eng begleiten darf.
Das loszulassen würde mir unendlich schwer fallen.
Schließlich steht das auf meiner Prioritätenliste des Lebens oben. Ganz, ganz oben.
Diese Position bestimme ich. Und viele dieser Pole-Position-Plätze bestimme ich auch. Und eigentlich- so erinnere ich mich, war das immer so gewesen. Ich habe es zeitlebens aber kurz aus den Augen verloren.

Ich werde nicht von der Zuschauertribüne am Fußballplatz weichen.
Erst, wenn er mich darum bittet. Und wenn das der Fall ist, dann sitze ich vielleicht doch bei einem dieser berühmten retreats und halte die Füße ins Meer.

Eure Paula

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