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2022 Krebsfreundschaften und der Tod

Im vorangegangenen Beitrag habe ich euch meine zwei Power-Modi verraten, die mir den Umgang mit meiner Erkrankung leichter gemacht haben.
Wissen und Empowerment, also der Vernetzung mit anderen Erkrankten.
Und immer wenn ich gefragt werde, was mir geholfen hat, dann war es das Wissen um meine Erkrankung („Kenne deinen Feind“) und das Abschauen von Lebensmodellen mit der Diagnose.
Noch heute zehre ich davon, dass andere Erkrankte zeigten, dass ein Leben mit Krebs ein lebenswertes- ist, egal in welchem Stadium die Erkrankung ist.
Sie sind es, die die Krebstheorie lebendig machten und mir zeigten, dass die Krankheit zwar alles umwerfen-, aber nicht alles bestimmen wird.

Heute möchte ich nicht über Ersteres mit euch sprechen, sondern vor allem über Krebsfreundschaften- auch- oder besonders wenn der Fall eintrifft, dass ein*e Betroffene an den Folgen der Erkrankung stirbt.

Gestern noch zusammen nebeneinander in den Chemostühlen über Gott und die Welt gesprochen, Leben zusammen sortiert, geklärt, nach Prioritäten geordnet- kleine Wünsche zu Perspektiven werden lassen, Gedankenbilder gemalt und gemeinsam gelacht und dann ist das geschehen, was man zusammen im Krebsalltag in die hinterste Gedankenecke geschoben hat:
Der Krebs hat wieder alles zerstört und in Trümmern gelegt und tausende Gefühle rasen durch den ganzen Körper, sodass man sie schier symptomatisch fühlen kann. Als Schmerz.
Trauer und Angst laufen sich den Rang ab. Wut, Hilflosigkeit, Unverständnis und tiefe Traurigkeit.

Und nicht nur das.
Auch, wenn man sich flüchtig auf Social Media kannte, lösen Todesnachrichten von Betroffenen viele unerkannte Gefühle aus.

Ich bin nicht stolz darauf, aber ich werde meine erste Panikattacke niemals vergessen, die ausgelöst wurde, weil ich erfahren habe, dass eine Person, die mich sehr inspiriert hatte, an den Folgen jener Erkrankung gestorben ist, gegen die ich momentan auch einen ungerechten Kampf führte.

Sitzt man also elektrisiert vor dem Handy fällt es vielen Angehörigen schwer zu verstehen.
„Du kanntest sie doch gar nicht so lange“, oder „Sie hatte von Beginn an schlechtere Karten“, oder auch ein „Nun schließ die Krebsgeschichte einfach mal ab, das zieht sich runter“, hören wir.
Und ganz vielleicht haben wir heimlich schon versucht, uns emotional in dieser Wucht zu distanzieren, um uns zu schützen. Aber so einfach ist das nicht. Ganz und gar nicht.
Weil die Bedeutung dieser Freundschaften eine andere ist, als eine flüchtige Begegnung.
Sie ist in dieser Zeit so viel mehr- dabei viel zu kurz und an Demut und echten Emotionen im stummen Verständnis nicht zu übertreffen.
Sie ist pur, intensiv und dabei kraftgebend und stark. Und oftmals spiegeln wir uns darin selbst.

Denn allen Gefühle voran, da steht eine Geschichte.
Deine – ihre- seine und mitten darin der Grund: Krebs.
Die Geschichte muss anders sein, als  in anderen Freundschaften, denn sie beginnt ehrlich und schonungslos in einer Krise.
Sie beginnt nicht mit Spaß, Urlauben, durchtanzten Nächten. Sie beginnt nicht auf der Schulbank, wird nicht mit gemeinsamen Lieben, Ausflügen und Nachtwanderungen gefüttert.
Ihre Basis ist kein lustiges Missverständnis, kein getauschter Lippenstift und keine Shoppingberatung und hat keine Erinnerung, auf der sie aufbaut.

Sie beginnt voller Hoffnung darauf, Normalität und Alltag auf ein Leben mit Krebs in einem Moment,
wo nichts weiter weg sein könnte als das.

Freundschaften dieser Art gehen weiter. Sie leben nicht von einer ausgemalten gemeinsamen Zukunft, die mit Erinnerungen gefüttert werden will, sondern bläht sich auf mit den schönen Momenten im Schlechten und zerrt daraus ihre ganze Kraft.
Und sie entsteht nicht zufällig, sondern gesucht, gezielt und einander gebraucht, noch bevor man sich überhaupt kannte.  

Nichts könnte gegenwärtiger sein, als der Moment. Und weil er so stark ist in der Krise, ist die Freundschaft es auch.

Erzählt man sich vom Leben vor dem Krebs, dann ist es, als müsste man beschreiben, was einen ausgemacht hat, was einem wichtig war und welche Hobbies und Interessen man hatte. Und wie man aussah. Schaue ich mir frühere Bilder meiner Krebsfreundinnen an, erkenne ich sie eigentlich in diesen Personen auf den Fotos nicht wieder.
Und weil der Gegenüber das „gesunde Ich“ nicht kannte, erzählt man von dieser Zeit und inszeniert damit unwissend ein Bild, an das man vielleicht wieder glauben will. An gute Zeiten. Gemeinsam.

Es geht eigentlich nicht hauptsächlich um geteilte Sorgen und Krebs. Diese angstmachende Basis kann keine Freundschaft aushalten.
Es geht um den Moment, und dass man gemeinsam anfängt die Person zu mögen, die man vorher war, ohne dass der*die andere sie eigentlich kannte, weil man sich – und alles um sich herum- verändert. Jetzt gerade.
Aber deine Krebsfreundin verändert sich nicht- weil es sie vorher nicht gab.

Diese Beständigkeit und die aktuell geteilten Sorgen sind zwei Komponenten, die erden.
Sie schaffen es, in Augenblicken aus dem Krebskarussel auszusteigen und die Alltagsmomente zu genießen, die mit der Erkrankung zunächst nicht sichtbar waren, oder -und das ist genauso wichtig-, die „Aufs“ und „Abs“ auszuhalten. Auch die Monster unter den Betten.

Man lernt sich in extremen Situationen kennen.Sie gemeinsam auszuhalten verbindet ungemein.
Weiter noch: Es beflügelt, erdet, motiviert.
Man schafft sich einen Alltag, schafft sich Raum gemeinsam auch Schönes oder Lustiges zu platzieren, wohlwissend, dass man auf einem heißen Stuhl sitzt.
Krebs ist noch immer eine potentiell lebensverkürzende Diagnose. Für beide.
Und weil keiner weiß, ob die Geschichte weitergeht, besinnt man sich auf das Jetzt und schöpft daraus Kraft und Gutes.
Wer auf dem heißen Stuhl sitzt, wissen wir oft dabei nicht.

Jemanden zu verlieren, dem man in der Krise so nah war, an dem man gewachsen ist und der trübe Gedanken lösen konnte fühlt sich an, als verlöre man ein weiteres Mal den Boden unter den Füßen.
Denn da ist zum Beispiel die Trauer- eine nahe Person verloren zu haben.
Eine enge Freundin und Vertraute, der man ungeschönt das Tablett der eigenen Ängste präsentieren konnte und die nichts davon beschwichtigt-, sondern ernst genommen hat und mit dir zusammen zerdacht und zerlegt hat.
Das tut weh.

Da ist die Familie der Freundin, deren Stellenwert und Besonderheiten, Liebenswertigkeiten und Marotten man aus etlichen Erzählungen allzugut kennt, und die man dadurch ebenfalls lieb gewonnen hat, obwohl man sie eigentlich nicht kennt.
Aber die Erzählungen sind so lebendig, so lebensnah, realistisch, authentisch und echt, als wären sie aus einem fesselnden Roman, bei dem man mitfiebert und sich mit den Protagonisten solidarisiert, weil man schier mitfühlen kann, obwohl es eigentlich fremde Leute sind.
Stellvertretend für sie ist man traurig, weil sie ihre Angehörige gehen lassen mussten- aber auch dein Herz schmerzt weiter, weil du weißt, dass auch deine Freundin traurig war, sie alle loszulassen.

Man ist so wütend über die Erkrankung, über die Ungerechtigkeit und auch darüber, dass die Welt sich trotzdem weiterdreht. Dass du trotzdem Wäsche waschen musst, oder mit deinen eigenen Kindern ins Schwimmbad gehst- und der Krebs ist dabei. Aber du, du bist es eben auch. Und deine Freundin nicht. Ist das gerecht? Auch das tut weh.

Und wenn die Nächte lang sind, dann meldet sich auch dein eigener Schmerz, und dein Herz wird trocken.
Was ist, wenn auch du auf dem heißen Stuhl sitzt?

Ich hatte früher große Ängste, wenn ich gehört habe, dass jemand an Krebs gestorben ist.
Besonders vor meinen eigenen Nachsorgeuntersuchungen.
Das ist nicht mehr so, aber ich weiß genau, dass zerstörte, gemeinsame Träume und der gemeinsame Wunsch nach „alles wird gut“ Ängste auslösen können.

Am Ende des Tages habe ich gelernt, die gemeinsame Freundschaft nach Schnittstellen zu trennen.
Die eine ist die Person, die ich verloren habe, die ich mag und die mir wichtig ist.
Das löst Trauer aus, und das ist absolut nachvollziehbar, wenn man weiß, wie intensiv die Freundschaft gewesen ist, was man geteilt- und sich gegenseitig gewünscht hat.
Der Tod gehörte nicht dazu.

Die andere Schnittstelle ist meine Freundin als Patientin.
Die, mit der eigenen Krankenakte. Diese Akte teilen wir nicht, auch, wenn die Diagnosen gleich sind.

Der Trigger ist nicht der Tod einer lieben Person, der Trigger ist die eigene Angst vor dem Krebs- die Angst vor der eigenen medizischen Akte.

Und so denke ich still in mir, dass die Freundschaft meiner Freundin nicht in unseren Krankenakten stand und sie darauf zu reduzieren eigentlich nicht richtig ist.
Sie wird ihr nicht gerecht. Sie hat mir in schlimmen Zeiten geholfen, das Gute zu sehen und ich kann sie nicht dafür verantwortlich machen, weil sie daran gestorben ist.
Sie ist nicht das CT, die Mammografie oder das MRT, das die Wendung in meiner Geschichte bringen kann.  

Sie war ein Mutanker.
Eine, die den Unterschied gemacht hat und Zuversicht gegeben hat und eine, die sicher nicht als Trigger oder Angstmacherin gehen wollte.
Sicher war sie eine, die unvergessen bleiben möchte.
Eine, die das Gefühl „du bist nicht allein“ auch über die Grenzen des Krebses teilen wollte, in der Absicht, die Perspektiven zu tragen- nicht den Tod und auch nicht die Angst.

Und immer dann, wenn die Trauer mich übermannt, dann denke ich daran.
An starke Frauen, die sich aufrichtig an den kleinen Dingen freuen konnten.
Daran, dass wir uns im Rahmen aller Möglichkeiten einen Alltag geschaffen hatten, der auch schöne Seiten hatte und daran, dass ich auch viele Jahre nach ihrem Tod unsere gemeinsam erschaffenen Träume leben darf.

Sie fehlen mir. Alle.

Und oft sitze ich hier und wünschte mir, dass wir die Füße in die Alster halten, mit Sonnenbrillen auf der Nase die Gläser in die Höhe halten und uns sagen wie schön das Leben ist.
„Dank euch“, denke ich mir oft dabei. „Weil ihr den Unterschied gemacht habt. Und nicht die Angst“.

Mich tröstet oft der Gedanke, dass wir uns das so voneinander gewünscht haben. Und eigentlich füreinander.

Und so nehme ich alle Freundinnen, die ich auf dem Weg durch die gemeinsame Diagnose verloren habe mit und versuche ihnen die Welt, die sie verlassen haben durch meine Augen zu zeigen.
Ich würde ihnen so gern sagen, dass ihre Erkrankung, oder Metastasierung und ihr Tod nicht meine personifizierte Angst gewesen sind, und ihr Lebensende nicht an meiner Angst gerüttelt hat- sondern mir vor Augen geführt hat, dass ich etwas verliere, das mir viel gegeben und bedeutet hat.
Die schönen Dinge, die Träume, die Perspektiven, die ihren Ursprung darin hatten, dass Menschen sich in den dunkelsten Stunden ihres Lebens kennenlernten und einen gemeinsamen Alltag hatten, von denen sie glaubten ihn mit der Diagnose verloren zu haben.

Das und nur das- wird der Krankheit, und der Freundschaft, der Liebe und dem Leben gerecht und das ist es auch, was bleibt.

Nicht die schlimmen Nachrichten stehen in meinem imaginären Poesiealben.
Nicht das Ende macht diese Geschichten aus, weil keiner dieses Ende so wollte.
Was bleibt ist das, wie ihr gelebt- und was ihr hinterlassen habt.

Alles andere, was mir Angst machen könnte verbanne ich aus meinen Gedanken.
Es ist meine ganz eigene Krankengeschichte und die steht in meiner persönlichen Krankenakte.
So lange verschlossen, bis die Angst so echt ist, dass ich sie selbst öffnen muss.



Ps. Hat dir der Artikel gefallen? Dann schmeiß mir gern ein Trinkgeld in meine Kaffekasse. Darüber freue ich mich sehr. Zur Kaffeekasse geht es hier entlang.

13 Kommentare zu „2022 Krebsfreundschaften und der Tod

  1. Danke. Danke für diese Worte. Die wieder so vieles ausdrücken was ich besonders heute empfinde, nachdem wieder so eine gute, liebe Person gegangen ist.

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  2. Liebe Pauli, wieder so tolle Worte, die so viel mit mir machen, in denen ich mich wiedererkenne. Es gibt so viel zu sagen, aber das würde diesen Rahmen sprengen. Also denke ich -heute besonders- liebevoll an all die, mit denen wir so gerne die Haare im Wind flattern lassen würden.

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  3. Liebe Paula. Danke für diesen Beitrag. Deine Schnittstellen-Theorie macht auf jeden Fall Sinn für mich und hilft vielleicht auch ein bisschen bei der Verarbeitung der Trauer!

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    1. Danke liebe Claudia. Es sind einfach zwei wahnsinnig starke Gefühle im Spiel, die so unfassbar schwer auszugleichen sind.
      Mir hat das Trennen irgendwie auch geholfen, auch wenn der Schmerz natürlich bleibt.

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  4. Genau so sollte es sein und Du hast wunderbare Worte gefunden. Und dieses sich bewußt werden, dass andere Krankenakten nicht unsere eigne ist, unser Weg ein andrer ist mit dieser F*** Krankheit, wir trotzdem und gerade deshalb lachen, weinen, tanzen, singen und so vieles mehr dürfen wenn wir wollen…. in einem Moment und weil wir nicht wissen können was kommt – will ich auch nicht täglich wissen oder gefragt werden. Jetzt ist eine gute Zeit – Punkt. Fühl Dich gedrückt

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  5. Liebe Paula,
    Danke für diesen tollen Beitrag (Tränen in den Augen). Mein allergrößtes „Chapeau“ vor Deinem Engagement. Seit ich im September 2021 meine Diagnose Brustkrebs erhalten habe, begleitet mich Euer Podcast und Deine wundervollen Artikel und Stories bei Insta! Du gibst wirklich richtig Kraft und Mut. Vielen lieben Dank für Deine immer warmherzigen und klugen Worte. Ich befinde mich immer noch in Therapie – Bestrahlung und Hyperthermie – nach beidseitiger Mastektomie und bin oft richtig down. Aber ich habe meine drei Kinder, einen tollen Mann und dank Eurer vielen guten Tipps eine Haushaltshilfe und viel Optimismus 🤗🥰
    Ich sende Dir viele liebe Grüße.
    Liebst Ulli

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    1. Liebe Ulli,
      Vielen Dank für diese warmen Worte.
      Sie sind es, warum wir das machen und eine Auszeichnung und Wertschätzung unserer Arbeit. Herzlichen Dank und alles liebe, viel Kraft für den letzten Metern der Akuttherapie.

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