An meinem Hochzeitstag hielt ich also das erste Büschel Haare in meiner Hand.
Es deutete sich schon an, denn die Harre werden kurz vor dem Aufallen ganz trocken und struppig. Darauf war ich vorbereitet, denn einige Tage vorher stand ich mit einem Perückenrezept in einer kleinen Perückenmacherei. Dort kamen zwei Perücken in die engere Auswahl, die ich nochmal probieren und anpassen wollte, wenn alle Haare gefallen waren. Die Perückenmacherein beriet mich ganz toll und bereitete mich darauf vor, was mich erwarten würde.
Ich zögerte das Rasieren noch ein paar Tage hinaus, lief mit offenen Haaren in der Wohnung herum, schüttelte es, bürstete es und brauchte die Zeit, um mich zu verabschieden. Viele sagen so lapidar: „Es sind doch nur Haare“
Das ist wahr, es sind nur Haare. Aber unter diesen Harren steckt eine Identität. Hinter ihnen steckt so viel Gewohnheit, dass es nur Menschen nachvollziehen können, die ihre von einen auf den anderen Tag abrasieren mussten.
Man fühlt sich schutzlos und ist es auch.
Ich rief meine Perückenmacherin an. Ich wollte meine langen Haare spenden. Und tatsächlich bekam ich einen Brief zu lesen, der mich genau darin bestärkt hat.
Ich nenne sie Anna. Anna war ein kleines Mädchen, die ihre Krebserkrankung zwar überstanden hat, sich aber nun ohne Haare nicht zurück in die Schule traut. Sie wollte Ärztin werden, um kleinen Patienten zu helfen und vielleicht wollte sie auch aussehen wie Prinzessin Elsa, die alle so wunderschön fänden. Anna, so schreib sie, sei aber auch okay.
Anna sollte meine Haare bekommen. Ich spendete meine Haare, die Perückenmacherin ihre Arbeitszeit, wir legten noch etwas dazu und Anna konnte im Januar die Perücke aus meinen Haaren tragen.
An diesem bestimmten Abend vor Weihnachten stand ich mit einem GinTonic im Badezimmer und band meine Haare in einzelne Strähnen ab. Mein Sohn schnitt jede einzelne davon ab und rasierte mir danach die restlichen Zotteln ab. Es war passiert.
Die Weihnachtsfeiertage flogen so dahin, und mit ihnen der Rest des Jahres.
Silvester schickte ich eine Wunschrakete in die Luft und es gab nichts, was ich mir sehnlicher wünschte, als dass wir die kommende Zeit gut überstehen würden.
Zurück zu Anna. Etwa ein halbes Jahr später bekam ich eine Nachricht über meinen Instagram-Account. Es waren Annas Eltern.
Ich durfte Anna besuchen, sie war wieder im Krankenhaus. Anna ist leider nicht wieder gesund geworden, aber ich versichere euch, dass sie alles dafür getan hatte.
Krebs ist furchtbar, unfair und brutal. Es ist nicht gerecht, was uns passiert.
Kleine Anna, dich werde ich sicher niemals vergessen.