
Das Jahresende. Nicht nur für uns Menschen mit Krebs ist es eine schwierige Zeit.
Wir schließen das Kapitel des alten Jahres und versuchen Zuversicht für das Neue aufzubringen.
Wir schwingen die Dankbarkeitskeulen, weil es so vielen schlechter geht, als uns selbst.
Spendenaktionen. Für Hunde, Sportvereine- für die Menschen, deren Behandlungen nicht bezahlt werden, für Menschen deren letzte Wünsche erfüllt werden sollen.
Für jene, die niemanden mehr haben, oder für die, deren Geld zum Leben nicht reicht.
Versteht mich nicht falsch- all das ist richtig und wichtig.
Aber es löst Gefühle aus und jedes Mal frage ich mich:
Ist die Dankbarkeit, die ich deshalb empfinde, weil es anderen schlechter geht eine echte Dankbarkeit?
Eine, die ich empfinde, weil mein Leben gut ist und ich zufrieden bin?
Oder eine, die da ist- weil es anderen schlechter geht als mir selbst?
Und so passiert Folgendes:
Wir nehmen uns selbst, unsere Sorgen nicht ernst, beschwichtigen sie und schieben sie zur Seite.
Aus Angst vor Wertung. Oder Scham.
Wir setzen das Leid der Welt in Relation zu uns selbst und schweigen lieber.
Wir wollen die anderen schützen, ihnen im kunterbunten Winterwonderland unsere Gedanken nicht zumuten, springen auf den Zug des Weihnachtszaubers auf, hängen noch eine Lichterkette mehr auf und kämpfen beim Kinderchor zu „Stille Nacht, heilige Nacht“ mit den ungeweinten Tränen.
Und das tut nur im ersten Moment des Aktionismus gut, um in der Einsamkeit zurückzuschlagen.
Denn dann schmecken auch die zwölf Plätzchensorten, die in Duracell-Marnier wie am Fließband aus dem hauseigenen Ofen gesprungen sind, trocken und bitter.
Sprechen wir es doch mal -unter uns kleinen Weihnachtselfen- laut aus:
Weihnachten ist nicht des Weihnachtens wegen so besonders geworden.
Nicht deshalb, weil wir aus unserer Fatigue geheilt sind und plötzlich mit Geschenkpapier unterm Arm, die Wunschzettel zu entziffern versuchen.
Es ist nicht deshalb magisch, weil die Plätzchenproduktion unsere Haare (oder Brüste) wachsen- und die Hitzewallungen verschwinden lässt.
Weihnachten zaubert durch die Waldspaziergänge keine Nebenwirkungen weg, Geschmacksknospen hin und lässt Narben nicht verschwinden. Weihnachten heilt keinen Krebs und macht ihn auch nicht schöner.
Aber: Wir können- indem wir all das möglichst groß im Weihnachtsalltag aufblähen, unseren eigenen Sorgen recht kleinen Spielraum verschaffen.
Und tatsächlich: das funktioniert.
Krebs raus aus dem Tagesgeschäft- Spekulatius hinein.

Die Wahrheit ist: Wir inszenieren uns selbst in dieser Zeit.
Aus vielerlei Gründen, die nachvollziehbar und normal sind.
Über jedem sorgfältig gebundenem Adventskranz, hinter jedem Türchen des Adventskalenders und in jeder Nadel Tannengrün, lacht uns die Zukunftsangst entgegen.
„Wird es unser letztes, gemeinsames Weihnachtsfest?“

Das ist es doch.
„Denn wenn es doch das letzte Weihnachtsfest wäre, dann soll es allen in schöner Erinnerung bleiben“, denke ich, schlucke die Tränen runter und suche verzweifelt noch Karten für eine schöne Weihnachtsaufführung, die ich mit meinem Sohn besuchen kann, während ich Weihnachtspost und Pakete packe.
Ich kenne die Weihnachten mit lauten Pauken, Trompeten und Lametta.
Ich führe den Spielmannszug immer an.
Es ist mein fünftes Jahr nach der Erstdiagnose.
Mein Viertes nach dem Rezidiv. Und mein Drittes ohne meinen Vater, der an den Folgen einer Krankheit starb, aus der ich mit Heilungsbewährung heraustreten durfte.
Ich feiere die Weihnachtszeit noch immer laut, weil ich die Stille nicht ertrage.
Und obwohl ich weiß, dass es sie gibt (und natürlich auch warum), möchte ich es genau so haben, wie es ist.

Weihnachtfreude und die Melancholie führen eine gleichwertige Co-Existenz in meiner Gefühlswelt.
Da, wo andere meinen Ugly X-mas Swaeter sehen, und meine Rolf-Zuchowski Textsicherheit der Weihnachtsbäckerei loben steckt jemand, der absolut aktiv und gesteuert seine Ängste verdrängt und sich ganz bewusst gelassen, belastbar, großzügig und fröhlich steuert und es letztendlich, auch glaubt zu sein.
Und ein kleiner Spoiler:
Die Ängste sind nicht weg. Sie verlagern sich.
In den Januar, Feburar- Monate und Wochen, die auch kalt und dunkel sind- sich wie Kaugummi ziehen können und die voller Angebote für Shakes, Sportmitgliedschaften und Ernährungs-Geißelungs-Programmen die Butterplätzcheneskalationen das Gewissenskonto ins Dispo ziehen.
Schlimm- wirklich schlimm. Gepaart mit dem weihnachtlichen Bemühen, allen eine schöne Weihnachtszeit zu bescheren ein nahrhafter und fruchtbarer Boden für eine Winterdepression.
Wisst ihr was?
Inzwischen gönne ich mir in meinen Zuckerstangen-Extasen auch Tage, in denen ich mir ganz bewusst ein Merry Schiss-mas in den Spiegel schmettere.
Red Hot Chilli Peppers, statt Mariahs „All I want for Christmas is youuuuuuuuu“
Eine kleine Pause auf der Weihnachtsszene und eine Neutralisierung der Dankbarkeitskeule. Ich liebe Weihnachten und hasse es auch.
Weil es macht, dass ich das Gefühl habe, allen eine schöne Zeit zu schulden und es so oft selbst nicht fühle. Schiss-mas, eben!
In denen ich Krankenhäuser wertschätze und trotzdem verachte.
In denen ich spende und mich ernsthaft darüber ärgere, dass es in einem Wohlstandsland dazu kommt, dass Menschen hungern.
In denen ich die Zeitung aufschlage und nicht andere in Relation zu mir setze, sondern die Relation bewerte- und nicht mich.
Dinge passieren gleichzeitig. Ungerechte, grausame und schlimme. Und die schönen auch. Und mit Lametta und Kugeln glaube ich fest, die Gedanken an ein letztes Weihnachten zu steuern und vor allem: zu zähmen.
Klar wird die Sorge nicht kleiner, wenn man sie ersetzt- aber leiser werden die Monster unterm Bett, die Probleme schaffen, die noch gar nicht eingetreten sind.
Und so lasse ich doch hin und wieder einen Hauch Realitätsdurchzug in meine Adventszeit und mache sie deshalb so, wie ich sie tatsächlich sehe. Als Zeit voller Dankbarkeit.
Krebs ist scheiße. Keine Zimtstange der Welt kann das ändern.
Aber mein Leben ist es eben nicht.
Und in dem Leben, das ich habe, feiere ich Weihnachten. So laut, und so bunt und so lecker, wie ich will.
Und in diesem Sinne bleibe ich, und wünsche euch eine schöne Zeit mit der Familie.
Laute Lieder, leise Monster.
Einen Sack voller echter und authentischer Erinnerungen- nicht die, wie wir produzieren, um uns abzulenken.
Ich wünsche euch kleine Alltagskatastrophen: verbrannte Plätzchen, ein gekippter Weihnachtsbaum, ein demaskierter Weihnachtsmann, oder versalzenen Glühwein.
Weil nicht das Perfekte im Sinn bleibt, sondern weil wir doch solche Anekdoten in die nächsten Feste nehmen und aufrichtig darüber lachen.
Nicht zuletzt wisst ihr, was ich euch wünsche.
Ich spreche es nicht aus – sonst geht´s nicht in Erfüllung #youneverknow
Wir fassen zusammen:


Ps. Hat dir der Beitrag gefallen?
Die Einnahmen meiner Kaffeekasse (hier geht es entlang) spende ich im Winter an verschiedene Projekte:
Ein Teil geht an PinkRibbon, die mit ihren PinkKids ein Programm für Kinder- und Jugendliche an Krebs erkrankter Eltern bieten.
Neben Ferienfreizeiten bieten sie auch einen Podcast an, der niedrigschwellig und ohne Abo auf Spotify gehört werden kann- und den Kindern so zeigt, dass sie nicht alleine sind. Dieses Verständnis und Netz hat schon viele von uns Erkrankten aufgefangen und ich wünsche mir, dass das Netzwerk für die Kinder noch weiter wachsen kann.
Ein Teil ging bereits an verschiedene Geschenkaktionen für die Erfüllung kleiner Wünsche für Kinder, deren Eltern in finanzieller Not sind.
Ein Kind freut sich deshalb über einen Trainingsanzug unterm Weihnachtsbaum.
Eine Wohngruppe freut sich über einen Weihnachtsbaum und unterstützt wurde die Aktion Weihnachten im Schuhkarton.
Es gibt so viele Projekte, die nur deshalb gegründet und realisiert werden können, weil es Menschen gibt, die diese privat unterstützen.
Leider sind wir auch 2022 noch nicht soweit, dass Gemeinnützigkeit online stattfinden kann.
Ich möchte deshalb meinen Beitrag gemeinsam mit euch leisten und freue mich deshalb besonders, wenn ihr in diesem Monat kräftig hier mitlest und wir unsere gemeinsame Spende weitergeben können.
Tausend Dank!
Oh Mann, was für ein Beitrag. Ich kann dich gut verstehen, auch wenn es bei mir ein Schlaganfall war und ich fast 20 Jahre älter bin. Ich kann mich nur wiederholen, selten besseres gelesen und ich lese viel. Warum machen wir das? Damit es ein wenig besser wird, für dein und mein Kind und die noch nicht geborenen Enkel. Halt bitte durch, auch wenn es häufig nicht leicht fällt? Es ist die Sache wert.
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Tolle Worte! Ich habe großen Respekt vor dir! Ich folge dir schon viele Jahre !
Ich wünsche dir und deiner Familie schöne und angenehme 🎄 Weihnachten! LG Robina
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