„Wir haben versucht Ihren Krebs zu typisieren. Er scheint schnell zu wachsen, aber streufreudig scheint er nicht zu sein. Das ist zwar untypisch, aber es spielt uns in die Karten. Er hat es auf Ihr Brustdrüsengewebe abgesehen. Da die Chemos nicht gewirkt haben, müssen wir großflächig bestrahlen. Deswegen….haben wir uns entschlossen Ihre Brust zu amputieren. Leider… und das tut mir sehr leid…. raten wir von einem Sofortaufbau ab.“
„Nehmen sie beide Brüste ab“, sagte ich und mein Blick richtete sich auf den Boden.
„Ich weiß nicht, ob die Krankenkasse die Amputation einer gesunden Gliedmaße zustimmen wird“, warf die Chefärztin ein.
Der Krebs nahm mir seit Monaten sämtliche Selbstbestimmung. Mein Körpervertrauen, meine Haare, Wimpern, Augenbrauen, meine Sorglosigkeit. Er überwarf unsere kleine Familie mit so vielen Ängsten und unser kleiner Sohn von fünf Jahren musste all das mit uns tragen. Es gab auch Tage, an denen er uns die Hoffnung nahm. Eines bekam er aber nie: Die Lebenslust. Nun aber, da nahm er mir meine Brust.
Ich konnte es mir nicht vorstellen, mit nur einer Brust zu sein. So oft ich die Augen schloss, es wollte sich nicht einstellen. Es konnte sich nicht einstellen. Ich wollte eine Sache selbst entscheiden: ganz oder gar nicht.
„Bitte machen Sie es möglich“, flehte ich und schrie sie dabei fast an. Sie verstand, was ich meine und änderte die Notiz auf meinem OP-Aufklärungsbogen. „Ablatio rechts beidseitig“
Die kommenden Tage nahm ich Abschied. Ich machte mir viele Gedanken um meine Weiblichkeit. Offen gesagt fühlte ich mich ohne Haare, Wimpern und Augenbrauen wie ein laufender Penis. Wie sollte ich ohne Brust meine dralle Weiblichkeit leben?
Ich weinte viel. Um mich, meine Brüste, mein Leben, das Leben meiner Lieben. Über mein Aussehen, meine Gesundheit, Schicksal und Karma. Darüber, dass alles unfair und ungerecht war, dass nichts planbar war, und das mir das Recht genommen wurde das Leben einer 30-jährigem Frau zu führen, das doch so perfekt gewesen ist, ohne diesen verdammten Krebs.
Ich weinte darum, meinem Sohn in der schweren Zeit keine gute Mutter zu sein und auch darüber, ob meinem Mann keine „richtige“ Frau fehlen würde. Kein halbes Jahr vorher hatten wir geheiratet, mit langem wallenden Haar und er hat mir die Ehe versprochen, bis dass der Tod uns scheidet. Ein Leben lang. Jetzt war ich 31 Jahre alt. Eine Frau mit brustlosem Rumf. Ist das traurig? Ja. Das ist es.
Als alles beweint war, und das war zugegeben sehr viel, musste ich mich zwingen mich aufzurappeln und die letzten Tage mit vollständigem Körper zu nutzen. Ich lief die kommenden Tage wie ein Flittchen durch die Gegend. Völlig bewusst wählte ich alle Kleidungsstücke mit tiefem Ausschnitt aus und trug mein Dekoltee durch Hamburg. Tag und Uhrzeit war mir vollkommen egal. Immer, wenn ich zu Hause war, zog ich mich um und steckte das getragene Kleidungsstück in einen Sack. Tag für Tag brachte ich so meine Kleidung in die Altkleidertonne.
Ich wusste, dass ich einen neuen Tumor in mir trug. Ich wusste, dass er bestialisch schnell wuchs. Und seit einigen Tagen, da spürte ich, wie er in mir wuchs. Das Gefühl dazu war fast ironisch. Es fühlte fast genauso an, wie die ersten Kindsbewegungen, die man in der Schwangerschaft spürt. Hier ein kleines Flattern und Flimmern und ein vorsichtiges Klopfen. Hätte ich es nicht besser gewusst, dann wäre es fast ein zärtliches Gefühl gewesen. Aber in meiner Brust war etwas und dieses „Etwas“ wollte mich töten.
Das Wachstum meines Tumors bestätigte meine Ärztin, die alle paar Tage meine Brust abschallte. Es war grausam. Wirklich grausam.
Am 16.05.2018 war der Tag gekommen. Mein Mann und meine Mama brachten mich ins Krankenhaus. Ich seufzte nochmal und bat den Arzt um die „Scheiß- egal- Pille“. Ich bin ehrlich. Sie machte mich ziemlich schnell high- sodass ich meinem Mann und meiner Mama sogar noch Kusshände zuschickte, als sie mich durch die Tür schoben. Ich war bereit meine Brüste in den Preistopf zu werfen. Alles was ich wollte war leben.