Liebe Menschen,
Dieser Monat hatte es in sich. Ich habe ja ein bisschen was mit meinem Krebs erlebt und immer wieder ist es mir gelungen mich wieder aufzurichten, aber zu keinem Zeitpunkt war es so schwierig wie im August.
Ich hatte ja im vorigen Monat schon erwähnt, dass Bestrahlung und Chemotherapie parallel sehr toxisch auf den Körper wirkt. Was das genau bedeutet, war mir nicht so richtig klar. Zum Glück, denn vielleicht wäre die erste Augusthälfte nicht so unbeschwert geworden. Irgendwann begann es mir schlechter zu gehen. Ich konnte tagsüber nichts mehr machen. Keinen Haushalt, keinen Spaziergang, keinen Einkauf. Nichts. Mir war so wahnsinnig schlecht und schwummerig, dass ich mich selbst zu den Bestrahlungen aufraffen musste. Zur Bestrahlung musste ich jeden Tag. An manchen Wochen auch am Wochenende. Die Bestrahlung selbst ist wirklich unspektakulär. Ich legte mein Handtuch auf die Liege und ein kosmisches, großes Gerät fuhr um mich herum. Man bestrahlt nicht mehr frontal, sondern im 3-D-Verfahren, um die inneren Organe zu schützen. Unglücklicher Weise waren Herz, Lunge und Leber in meiner Bestrahlungstangente, sodass ich mit einer Atemtechnik diese Organe durch das Einatmen zur Seite schieben musste.
Eine Bestrahlungseinheit lief für mich deshalb so ab, dass ich mich hingelegt habe, auf Kommando die Luft anhalten musste und nach wenigen Minuten durfte ich wieder gehen (selbstverständlich musste ich die Luft nicht am Stück anhalten). Ich bekam einen Sensor auf den Bauch gelegt, mit dem ich die Bestrahlung auslöste- atmete ich aus, unterbrach die Bestrahlung sofort.
Mir war latent schlecht und irgendwann hörte ich auf zu essen. Es blieb einfach nichts drin. Ich war sehr ratlos, denn bei den anderen Brustschwestern (also meinen Miterkrankten) lief die Bestrahlung ohne besondere Vorkommnisse ab. Nur ich hatte mal wieder die Extrawurst bekommen.
Die Bestrahlung wirkte sich nicht nur auf meinen Körper aus, sondern auch aufs Gemüt. Mein persönlicher Tiefpunkt war erreicht- und das- obwohl ich dachte ich hätte ihn schon einige Male überwunden.
Ich war so satt, so krebssatt, satt ständig ins Krankenhaus zu müssen, satt in ständiger Angst zu sein, satt Blut abgeben zu müssen, satt von allem. Im Vertrauen sagte ich zu meiner Ärztin: „Ich mag Sie wirklich gern, aber ich kann es kaum erwarten, Sie nie wieder zu sehen, einfach deshalb, weil ich nicht mehr kann“ Sie verstand mich.
Zugegeben hätte der Zeitpunkt ungünstiger nicht sein können, aber ich hatte in dieser Phase die Gelegenheit mich mal ordentlich zu bedauern. Ich hatte Brustkrebs, war 31 Jahre alt. Keine Chemo hatte bisher Wirkung gezeigt. Ich hatte ein kleines Kind, keine Brüste mehr, wurde geschoren und amputiert. Ich habe mir meine Situation nicht ausgesucht und die Bestrahlung, von der ich mir so viel erhofft hatte, raubte mir sämtliche Lebensenergie. Artig bin ich zu jedem Termin gegangen, habe alles und noch mehr gegeben und jetzt rafft mich die Bestrahlung so dahin. Das war nicht fair!!!
Aber selbst das war nicht der Tiefpunkt. Die letzten Bestrahlungen verbrannten mich bis auf die Knochen. Auf den letzten Metern nahm ich 12 kg ab und weil ich bis zu den Rippen verbrannt war, brauchte ich Morphium. Es war, als hätte ich mit dem Sonnenbrand meines Lebens einen Hechtsprung über Asphalt gemacht und hätte die Wunden mit Schmirgelpapier gesäubert. Sobald ich mich bekleidete, zog ich mir mit dem Ausziehen meine Haut vom Leibe. Das war dann mein absoluter Tiefpunkt.
Glücklicherweise bin ich Patientin eines großartigen Ärzteteams. Sie schickten mich weiter und in einer anderen Strahlenklinik wurde mir geholfen. Für jeden Quadratzentimeter gab es einen anderen Verband, eine andere Salbe und Umschläge. Schon bald schimmerte eine schweinchenrosane, neue Haut durch die Wunden und es begann schnell zu heilen.
Mit der Heilung kam auch der Appetit zurück. Ich hatte seit zwei Wochen nichts mehr gegessen und die Astronautenkost hing mir zum Halse raus.
Mit dem Appetit kam auch die Kraft zurück wieder vor die Tür zu gehen und mit der Kraft auch die Lebenslust.
Ja, es ging wieder bergauf und darüber war ich so dankbar und gerührt, das ich selbst nicht glauben konnte, welchen Preis das Leben hat.
Es war unglaublich schwer, ich bin daran gewachsen und wenn das Leben diesen Preis einfordert, dann war es immernoch nicht zu teuer.
Das was mir passiert ist, nennt sich „Radiation-Recall-Effect“. Dass es passieren kann, wusste ich. Wie heftig es wird, das wusste ich nicht. Ich würde diesen Weg trotzdem immer wieder gehen, wenn es erforderlich ist.
Ich bin meiner Ärztin sehr dankbar, dass sie seinerzeit eine Amputation ohne Aufbau empfahl. Mit Expander und dem Radiation-Recall-Effect…. das wäre nicht gut gegangen. Ich bin sehr dankbar, dass sie das im Hinterkopf hatte.
Wenn alles um einen herum so einstürzt, dann bleibt ein nacktes, pures und klares Gefühl übrig. Die Demut.
Es ist eigentlich ein schönes Gefühl, aber Unbeschwertheit ist ein schöneres.