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2023 Ich könnte das nicht

„Ich könnte das nicht“, sagt man mir und natürlich weiß ich zu schätzen, dass man es gut mit mir meint.
Und vielleicht ist es auch eine Art der Anerkennung meiner Person und Geschichte.
Gleichwohl- das verrate ich euch hier schätze ich die Art der Anerkennung, kann sie aber überhaupt nicht annehmen.

An schlechten Tagen würde ich mit Tränen in den Augen schreien:
„Natürlich nicht- du musst ja auch nicht!“
Du musst deinen Kindern, Partnern und Eltern nicht sagen, dass du Krebs hast.
Und du musst keine Nachrichten aushalten und mitteilen, dass wieder eine Therapie nicht funktioniert hat.
Vielleicht kannst du einfach Krebsvorsorgetermine zu Gunsten eines Konzertes verschieben aber ich, ich könnte genau das nicht. Ich könnte das nicht.
Vielleicht nie mehr.
Und der Grund ist alles andere als bewundernswert.

An anderen – den guten Tagen- da mache ich eine lässige Handbewegung.
„Klar könntest du. Man hat ja nicht ernsthaft eine Wahl.“

Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen.
Und die Wahrheit ist: Ich kann es auch nicht.

Alles, was man heute sieht, hat so verdammt wenig mit Können zu tun.
Getrieben von Angst ist es zu Beginn ein Instinktives Wollen. So vieles, was man auf den ersten Blick nicht sieht kann ich nicht (mehr).
Es sind verdammt viele Kompromisse im Spiel. Etliche Stunden Arbeit, damit ich mich einem Leben anpassen kann, was im Gerüst dem nahe kommt, was ich früher gelebt habe- und doch ganz anders ist.
Es ist so wenig „Können“ im Spiel – und so verdammt viel „Nicht-Können“.
So viel Priorisieren, so viel Entscheiden, Verzichten, Neu-Denken.
Mein Nicht-Können ist die Grundlage für deine Annahme „Ich könnte das nicht“ und vielleicht der Grund, warum ich mich in dieser Aussage so missverstanden fühle.

Das, was du meinst- der äußere Anschein- ist purer Überlebensinstinkt. Chemos. Haarausfall. Operationen.
Es ist ein Durch- und Aushalten. Ein Plan. Vielleicht sogar die Hoffnung. Instrumente.
Wir wissen doch alle, dass es mit der Diagnose nicht darum geht.
Es geht nicht um die Haare.

Sondern um die Unberechenbarkeit  der Krankheit, der wir ausgeliefert sind.  
Das ist es, was man nicht lange ausblenden kann.
„Ich könnte es nicht“. Ganz ehrlich?  Ich kann es auch nicht.

Aber es nützt nichts.
Es geht um Akzeptanz, und die ist in vielen Dingen so unfassbar schwer.
Die Schäden zu akzeptieren und außerdem die Einschränkungen.
Das Aussehen, die Unbelastbarkeit. Die vielen Quittungen und „Stops“ des Körpers und die Isolation.
Die Akzeptanz bedeutet, all das nicht zu bedauern.
„Ich könnte es nicht“. – Ich auch nicht.

Krebs ist ein schwieriger Begleiter. Und so geht es im zweiten Schritt darum, aus möglichst allem das Beste zu machen- und in dem, was man hat, das Allerbeste zu sehen.
Das ist die Kür.
Und man kann das. Mit und ohne Krebs, weil das Leben oft genug mit Krisen um die Ecke kommt.
Also konnte ich es auch.

Weil ich dieses Leben so unfassbar liebe. Trotz allem.
Und verteidige. Und schätze. Und leben möchte.
Barfuß über warmen Asphalt laufen, auf Konzerten mitsingen, Menschen umarmen.
Mich berühren lassen. Küssen.
Weil ich auf Tische hauen möchte, und Kerzen bei Ikea kaufen will. Geburtstagstische decken – und selbst Kerzen auspusten.
Ich möchte herausfinden, ob Ameisen pupsen und würde so gern erfahren, was für eine Schwiegermutter ich wohl wäre.  

„Ich könnte das alles nicht“. Schweig bitte.
Doch. Das könntest du auch.

Weil das Wollen immer stärker ist und sich doch manchmal nicht erfüllt.

Krebsgedanken.

Eure

Ps. In jeder Zeitung steckt Werbung. In jedem Youtube-Video auch. Dieser Beitrag ist werbefrei für dich entstanden.
Deshalb würde ich mich freuen, wenn du in meiner Kaffeekasse vorbeischaust. (Link)

Ein Kommentar zu „2023 Ich könnte das nicht

  1. Wenn man nie diese Frage gestellt bekommen hat, um sein Leben kämpfen zu müssen, dann wissen die meisten auch nicht , ob sie so etwas durchstehen könnten oder nicht. Und oft ist es auch die Hilflosigkeit des Gegenübers nicht zu wissen was man sagen soll. Und manchmal kann man auch sagen „ich hab keine andere Wahl“ oder „welche Wahl würdest du treffen? Gehen oder bleiben?“ so hilflos wie die anderen , so hilflos sind auch wir. Und das ist ok. Man muss nicht auf alles eine Antwort haben, manchmal kann man Dinge auch einfach so hinnehmen wie sie sind. 🌸 und dann kommt Jemand und sagt „ich kenne deine Situation, du brauchst nichts zu sagen, ich fühle mit dir, denn ich habe Ähnliches erlebt und bin froh, dass ich es konnte. Wie lange weiß ich nicht, aber ich gehe dadurch. Mal gut mal schlecht“ fühle dich umarmt

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